Die fünfte Spur
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Die fünfte Spur

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Der Bruch als Indikator

Eine Selbstverständlichkeit gibt sich als Selbstverständlichkeit zu erkennen, wenn sie keine Selbstverständlichkeit mehr ist.

Unabhängig davon, womit wir uns beschäftigen, sind wir in ein Gefüge aus Selbstverständlichkeiten eingelassen. Wir bedenken sie nicht. Und doch sind sie da und strukturieren, was uns möglich ist. Ihrer gewahr werden wir durch Abstandnahme – durch Verfremdungen, Ausblendungen und nicht zuletzt durch Brüche in zuvor bedenkenlos vollzogenen Prozessen. Denken Sie zum Beispiel an

  • ein Team oder eine Abteilung. Wenn längere Zeit Einigkeit herrscht, welche Aufgaben von wem gemacht werden und wo die Prioritäten liegen, etabliert sich ein Ordnungssystem aus Selbstverständlichkeiten, welches die Zusammenarbeit unbemerkt anleitet. Insbesondere aber jenen, die neu hinzukommen, offenbart es sich, wenn sie dagegen verstoßen.
  • eine Qualifizierungsmaßnahme. Wenn Sie einen Führerschein für einen speziellen Fahrzeugtyp machen, so ist letztendlich das Ziel, dass Ihnen das Erlernte in Fleisch und Blut übergeht. Wie leicht die erworbenen Fähigkeiten wieder fraglich werden können, zeigt sich beim Umstieg auf ein anderes Fahrzeug oder beim Fahren in einer unvertrauten Umgebung.
  • Unwahrheiten und „alternative Fakten“. Es gibt Aussagen, die sich als falsch erweisen. Das geschieht, wenn sie sich nicht als anschlussfähig zeigen an Aussagen, die bereits als glaubhaft eingestuft wurden. Was im normalen Verlauf eine Selbstverständlichkeit ist, dass eine Aussage sich in das Gebäude bisheriger Aussagen einfügt, trifft in diesen Fällen nicht zu.
  • Begriffe wie „Smartphone“, „Cloud“ oder „KI“. Mit den Ausdrücken ist es gelungen, Technikprodukte mit Assoziationen der „Klugheit“, „Leichtigkeit“ und „Intelligenz“ zu verbinden. Die Bezeichnungen sind vielerorts akzeptiert und zu Selbstverständlichkeiten geworden. „Taschencomputer“, „Serversystem“ oder „Algorithmikus“ wirken deutlich weniger auratisch.
  • einen Veränderungsprozess. Die Reorganisation eines Unternehmens führt dazu, dass selbstverständlich gewordene Abläufe durch neue ersetzt werden. Die Veränderung ist erfolgreich, wenn die neuen Abläufe anschließend wieder so selbstverständlich geschehen wie die alten und in Vergessenheit gerät, was zuvor das Problem und was die Lösung war.
  • Fragen der Migration und Integration. Traditionen, Regeln und Werte, die in der einen Kultur als ganz selbstverständlich erachtet werden, können in einer anderen Kultur problematisch erscheinen. Gerade weil kulturelle Gepflogenheiten oft tief verwurzelt sind, kommen sie meist unbedacht und selbstverständlich daher und werden so zu Quellen der Irritation.
  • technologische Entwicklungen. Anfang des 20. Jahrhunderts kamen die elektrischen Waschmaschinen und Radios auf. Zwei Jahrzehnte zuvor begann die Elektrifizierung der Städte. Strombetriebene Geräte sind heute eine Selbstverständlichkeit. Ein Leben ohne Bildschirm, Kühlschrank oder Telefon? Ein Stromausfall bringt das in Erinnerung.
  • Muskelkater, Verspannungen, Kopfschmerzen. Rund um die Uhr nutzen wir unseren Körper. 24 Stunden am Tag. Sieben Tage in der Woche. Ohne Auszeit. Unzählige Funktionen sind unserer Aufmerksamkeit entzogen. Viele davon nehmen wir für selbstverständlich. Anders ist es, wenn sie gestört sind oder sich uns unser Körper durch Schmerzen bemerkbar macht.

In Momenten ihrer Offenlegung verlieren Selbstverständlichkeiten ihre Selbstverständlichkeit. Früher oder später gewinnen viele von ihnen ihre Selbstverständlichkeit wieder zurück. Doch überraschende und einschneidende Vorgänge des Unselbstverständlichwerdens können lange in Erinnerung bleiben.