Die erste Spur
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Die erste Spur

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Gedanken zum Einstieg

Die Arbeit mit dem Phänomen der Selbstverständlichkeit führt zu einem neuen Denken in Linien, Netzen, Ebenen und Feldern.

Doch bis zu dieser Art des Denkens sind es einige Schritte zu gehen. Es gilt, alteingeschliffene Vorstellungen zu hinterfragen, neuentwickelte Perspektiven zu lokalisieren und verstreute Erkenntnisse zusammenzuführen. Zu den ersten beiden Punkten liefert diese Reihe zwölf einleitende Beiträge, die unabhängig voneinander gelesen werden können.

Anders als materielle Gegenstände lassen Selbstverständlichkeiten sich nicht durch Sinneswahrnehmungen erkunden. Selbstverständlichkeiten sind immaterieller Natur. Doch anders als das Gute, das Glück, die Gunst oder die Freiheit und deren Gegenspieler das Böse, das Unglück, die Missgunst oder die Unfreiheit ist das Selbstverständliche nicht mit starken Emotionen assoziiert.

Was ist das also für ein Gegenstand, der sinnlich nicht zugänglich und emotional nicht auffällig ist? Selbstverständlichkeiten aufzählen ist leicht; Selbstverständlichkeit definieren nicht. Eine erste Arbeitsdefinition zum Einstieg kann helfen:

Eine Selbstverständlichkeit ist etwas, das stillschweigend vorausgesetzt wird und von dem angenommen wird, dass es unproblematisch ist, es also an ihm nichts gibt, was der Rede oder eines Gedankens wert wäre.

Die Definition ist noch keine gute, weil ihr wesentliche Aspekte fehlen. Aber es ist eine gut verständliche zu diesem Zeitpunkt. Demnach ist eine Selbstverständlichkeit mit der Vorstellung verbunden, keiner weiteren Beachtung zu bedürfen. Wenn das Phänomen der Selbstverständlichkeit selbst eine Selbstverständlichkeit wäre, dann wäre es an dieser Stelle angebracht, von weiteren Überlegungen abzusehen.

Unter der Annahme, dass das Phänomen der Selbstverständlichkeit vorerst keine Selbstverständlichkeit ist, lassen sich der Wert und die Problematik von Selbstverständlichkeiten wie folgt skizzieren:

  • Alles, was ganz selbstverständlich funktioniert, muss nicht durchdacht, getestet oder geklärt werden.
  • Alles, was ganz selbstverständlich funktioniert, entzieht sich der Beachtung und Beurteilung.

Selbstverständlichkeiten prägen das Denken und Handeln durch eine Vielzahl mitlaufender Verlässlichkeiten, die im Normalfall unbemerkt bleiben. Selbstverständlichkeiten fördern Prozesse und Strukturen des Gelingens und sind selbst Produkte eben dieser Prozesse und Strukturen – unabhängig davon, wie das Gelingende zu bewerten ist.

Ausgesprochen sichtbar werden Selbstverständlichkeiten in der öffentlichen Berichterstattung. Hier offenbart sich, wie um Selbstverständlichkeiten gerungen wird. Regelmäßig zeigen sich zwei Einsatzweisen:

  • Sollte-sein-Typ. Dabei wird für etwas Partei ergriffen, das eine unhinterfragte Normalität sein sollte oder werden soll: „Inklusion sollte heute eine Selbstverständlichkeit sein.“ „Fahrzeuge mit einem geringeren Energieverbrauch müssen eine Selbstverständlichkeit werden.“
  • Ist-keine-Typ. Es wird darauf hingewiesen, dass etwas nicht als sichere Gegebenheit betrachtet werden darf, sondern Engagement erfordert: „Demokratie darf nicht als Selbstverständlichkeit verstanden werden.“ „Wirtschaftswachstum ist keine Selbstverständlichkeit.“

Im Ringen um die Bewahrung und Etablierung von Selbstverständlichkeiten ist es von Gewinn, zu wissen, was Selbstverständlichkeiten im Detail auszeichnet. Das ist aber nur einer der vielen Vorteile, die ein erweitertes Verständnis des Phänomens der Selbstverständlichkeit bietet.