Das Motiv
Vertrackte Probleme
Wer den Lösungsweg kennt, steht vor einer Aufgabe. Wer ihn zuerst erarbeiten muss, steht vor einem Problem. Eine besondere Art von Problemen steht hier im Mittelpunkt: Vertrackte Probleme.
Wer den Lösungsweg kennt, steht vor einer Aufgabe. Wer ihn zuerst erarbeiten muss, steht vor einem Problem. Eine besondere Art von Problemen steht hier im Mittelpunkt: Vertrackte Probleme.
Einfache Probleme, auch „tame problems“ genannt, sind klar definiert und umgrenzt. Die Beteiligten sind sich schnell einig, um was es geht und mit welchem Ergebnis das Problem behoben ist. Während der Bearbeitung ändern sich ihre Ansichten und Beurteilungen kaum. Zeit und Aufwand sind überschaubar. Veränderungen im Umfeld haben wenig Einfluss. Mit vorhandenen Fachkenntnissen werden Lösungen entwickelt und weitgehend frei von Abweichungen geplant und umgesetzt.
Anders ist die Situation bei vertrackten Problemen, auch „wicked problems“, „complex problems“ oder „social messes“ genannt. Die Analyse und Beurteilung des Sachverhalts zeigen wenig Konstanz. Es gibt zahlreiche Einflussfaktoren. Sie sind volatil und die Wechselwirkungen zwischen ihnen sind zahlreich. Versuche der Eingrenzung erweisen sich als schwierig. Gefragt sind eine fachübergreifende Zusammenarbeit, eine klare Orientierung, eine hohe Lernbereitschaft und eine starke Reaktionsfähigkeit.
Anfang der 1970er Jahre nimmt das Verständnis vertrackter Probleme mit dem Aufsatz „Dilemmas in a General Theory of Planning“ von Horst W. J. Rittel und Melvin M. Webber grundlegend Gestalt an. Untersuchungen und Publikationen anderer Autorinnen und Autoren folgen. Die Zahl an Veröffentlichungen zu diesem Thema reißt bis heute nicht ab. Das liegt nicht zuletzt an einer wachsenden Vernetzungsdichte. Sie verwandelt einfache Probleme in vertrackte Probleme. Nachfolgend ein Blick auf zwölf Eigenschaften vertrackter Probleme.
Die Schwierigkeiten beginnen mit der Problemerfassung. Die Beteiligten betrachten die Lage unterschiedlich, entsprechend ihren Vorkenntnissen, Interessen und Bedürfnissen. Jede Perspektive hebt Wichtiges hervor. Eine allein findet aber nicht die Zustimmung aller. So wird die Problembeschreibung zu einem Verhandlungsergebnis. Und das spiegelt oft eher die Einflusskräfte als ein inhaltliches Verständnis wider.
Oft wird angenommen, die Beseitigung der Ursache sei identisch mit der Lösung des Problems. Vorschnelle Festschreibungen der Problemursache schränken jedoch die Lösungssuche ein. Selten ist eine Ursache allein der Grund. Meist ist ein Netzwerk an Wechselwirkungen ausschlaggebend. Das bedarf der Beachtung. Dem steht aber das menschliche Verlangen entgegen, die Dinge schnell und überschaubar steuern zu wollen.
Eine umfassende Problembeschreibung und Ursachenanalyse sind hilfreich. Sie bieten aber keine Garantie für die Wahl des richtigen Weges. Zum einen werden erst im Bearbeitungsverlauf wichtige Einsichten gewonnen und neue Optionen erschlossen. Zum anderen führt die Arbeit unter unbeständigen Bedingungen zu meist überraschenden Entwicklungen. Ressourcen und Fähigkeiten für Anpassungen sind einzuplanen.
Die Arbeit an vertrackten Problemen endet selten mit einer abschließenden Lösung. Neue Rahmenbedingungen, fehlende Ressourcen, hoher Handlungsdruck oder veränderte Prioritäten können dafür ursächlich sein. Die vorerst ausreichenden Lösungen verdrängen die angestrebten. Der damit verbundene Wechsel der Ziele zeigt, dass Ziele vorrangig eine Koordinierungsfunktion besitzen. Sie sind kein Maßstab für Problemlösungen.
Es gibt keinen Blick von Nirgendwo. Ergebnisse werden subjektiv beurteilt. Die Interessen und Bedürfnisse der Beteiligten können sich verändern. So kommt es über die Zeit zu wieder voneinander abweichenden Auffassungen. Auch Vergleichsgrößen, zu denen die Ergebnisse in Beziehung stehen, unterliegen Entwicklungen. Ergebnisse sind selten richtig oder falsch. Viel öfter sind sie einfach nur mehr oder weniger passend.
Der Kreis der Beteiligten geht über die sichtbaren Personen hinaus. Das gilt insbesondere für den Fall der Hinzunahme von Beraterinnen und Beratern, die im Hintergrund tätig sind und selbst nicht in Erscheinung treten. Ihre Kenntnisse, Perspektiven und Vorstellungen fließen, vermittelt über Beteiligte, in den Bearbeitungsprozess ein. So ist nicht immer erkennbar, wer genau welche Positionen mit welchen Motiven vertritt.
Jede Intervention führt zu einer Vielzahl an größeren und kleineren Konsequenzen. Unausweichlich kommt es zu Überlagerungen mit anderen Entwicklungen. Nicht alle davon finden Beachtung. So können umgehend oder mit zeitlicher Verzögerung unerwartete Effekte entstehen. Das bedeutet, die Ergebnisse einer Intervention sind immer nur begrenzt absehbar und ihre Erfassung und Beurteilung ist immer nur partiell möglich.
Jedes Problem lässt sich als Folge von Gegebenheiten in anderen Bereichen oder auf anderen Ebenen interpretieren. So kann sich die Aufmerksamkeit auf vorgelagerte Einflüsse konzentrieren, die das Problem hervorrufen, oder auf Rahmenbedingungen, die eine Lösung behindern. Die in den Blick genommenen Wechselwirkungen beeinflussen die Wirksamkeitserwartungen und damit die Wirkrichtung der Beteiligten.
Manchmal sieht es so aus, als ließen sich frühere Vorgehensweisen kopieren. Die Aussicht auf kognitive Entlastung wird zum Anreiz, das Problem dazu passend neu zu interpretieren. In der Folge wird den Spezifika in Bezug auf den Sachverhalt, die Beteiligten oder den Kontext weniger Aufmerksamkeit geschenkt. So können Innovationen blockiert und Probleme verfehlt werden, was letztendlich zu Mehrarbeit führt.
Jede Berührung mit einem System verändert es. Es gibt keinen zweiten Versuch. Jede Kommunikation weckt Erwartungen. Interventionen schreiben sich in die Lerngeschichte der Beteiligten ein. Die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen. Bei aller Sehnsucht nach Fehlertoleranz, Verantwortliche bleiben mit der Veränderung verbunden, die sie eingeleitet haben. Wenn es schiefgeht, werden sie belastet und andere entlastet.
Lösungen liegen nicht in den Händen Einzelner. Es sind Ergebnisse durch Kooperation. Sie bedürfen der Zusammenarbeit in unterschiedlichen Bereichen und auf unterschiedlichen Ebenen. Damit verbunden sind immer Momente der Irritation und Konfrontation. Es wird ein Weg beschritten, bei dem sich die Beteiligten neu sehen lernen und sich zur Annahme neuer Prämissen und zur Übernahme neuer Verhaltensweisen auffordern.
Die Arbeit im Licht der Öffentlichkeit oder einer Anhängerschaft zwingt Beteiligte, Anliegen Dritter aufzugreifen und sich ihren Urteilen zu stellen. Wird den Erwartungen entsprochen, erleben sich die Beteiligten als gestärkt. Wird ihre Arbeit negativ beurteilt, schwächt es sie. Aus diesem Grund versuchen sie zu gefallen und sich als einflussreich zu präsentieren. Daraus resultierende Dynamiken können den Prozess erschweren.
Wie mit vertrackten Problemen verfahren? Ob in der Unternehmensführung, der Politik, der Informationstechnik, der Gesundheitsförderung, dem Umweltschutz, der Entwicklungshilfe oder auch dem Militär, an vielen Orten existieren Ansätze zur Analyse und zum Umgang mit vertrackten Problemen.
Über 400 Regelwerke, Managementmethoden und Interventionstechniken für verantwortungsvolles Kooperieren bei komplexen Fragestellungen wurden in den zurückliegenden Jahren kategorisiert, diskutiert, evaluiert und in einem Leitsystem mit drei Säulen »Verantwortung ergreifen«, »Kooperationen führen« und »Komplexität meistern« zueinander in Beziehung gesetzt.
Die Problemanalyse ist integraler Bestandteil des Leitsystems, das das Fundament von THE AND & FRIENDS bildet. Auf diesem setzt die Spezialisierung zum Kernthema Selbstverständlichkeit auf.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit Situationen dieser Art? Tauschen wir uns dazu aus.