Die achte Spur
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Die achte Spur

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Phasen der Entwicklung

Fortlaufend reformieren wir unser Inventar an Selbstverständlichkeiten. Es ist ein Inventar, auf das wir uns immer wieder auf’s Neue verlassen (müssen).

Veränderungen in diesem Inventar sind nicht selten an gravierende Umbrüche gekoppelt. Deutlich wird das zum Beispiel in dem FAKKEL-Modell von Lars Clausen. Es beschreibt den gesellschaftlichen Verlauf von Katastrophen in sechs Phasen. Seinen Anfang nimmt es in der Zeit nach einer Katastrophe.

  • F: Friedensstiftung. Im Anschluss an einen Krieg oder eine Naturkatastrophe wird mit Erfolg eine neue kollektive Ordnung geschaffen. In dieser Phase gelingt es denjenigen, die die Katastrophe durchlebt haben, wichtige existenzielle Probleme zu lösen und wieder verlässliche Strukturen und Prozesse ins Leben zu rufen. Geprägt von einem breiten gesellschaftlichen Konsens kehrt nach und nach ein Gefühl der Sicherheit und Zuversicht zurück.
  • A: Alltagsbildung. Erinnerungen an die Katastrophe rücken in den Hintergrund. Es bildet sich ein routinierter Alltag heraus, in dem sich die Beziehungen zwischen den Akteuren auf Basis von Fortschrittserwartungen festigen. Es entstehen mehr und mehr Selbstverständlichkeiten, die das Leben strukturieren. Die Aufmerksamkeit wandert vom Kollektiven auf das Individuelle. Der Blick für die Gefahren und Handlungsfolgen der sich herausbildenden Lebensweise verblasst.
  • K: Klassenbildung. Die sich ausdifferenzierende Gesellschaft und der sich etablierende Verflechtungszusammenhang bringen besondere Positionen und Institutionen hervor. Es entstehen spezialisierte Zentren, die oft durch Wissenschaftler, Unternehmens- und Behördenvertreter in Erscheinung treten. Sie prägen immer stärker den Diskurs. Die erlebte Stabilität wiegt die jeweiligen Laien, die den jeweiligen Experten gegenüberstehen, in Sicherheit. Das führt dazu, dass Warnungen von Experten nur noch schwer Gehör finden. Die Sichtweisen auf Risiken driften auseinander.
  • K: Katastropheneintritt. Die Gesellschaft zeigt sich bei der Kulmination der vernachlässigten Probleme resilient bis zu einem gewissen Punkt: dem Eintritt der Katastrophe. Die Wucht der Ereignisse überrascht und falsifiziert schlagartig die als verlässlich erlebte Ordnung, die ursprünglich als Lösung ihren Anfang nahm. Mit der Katastrophe verlieren unzählige Selbstverständlichkeiten ihre Selbstverständlichkeit. Interessengegensätze kommen ans Licht. Die Träger von Wissen und Einfluss geraten unter Druck und werden offen infrage gestellt.
  • E: Ende der kollektiven Abwehrstrategien. Die kollektiven Schutzmechanismen brechen zusammen. Die Gesellschaft verliert ihre Fähigkeit, effektiv auf die Katastrophe reagieren zu können. Das soziale Band zwischen den Akteuren dünnt aus. Gemeinschaftliche Strukturen zerfallen. Den Experten wird nicht mehr vertraut. Es herrscht Desorientierung. Die Sehnsucht nach Orientierung macht große Teile der Bevölkerung anfällig für einfache Erklärungen, Schuldzuweisungen und Führungsfiguren, die entsprechende Antworten bieten.
  • L: Liquidation der Werte. Die alten tragenden Wertvorstellungen erodieren auf breiter Front. Das Vertrauen in andere Menschen verengt sich. Solidarität gibt es fast nur noch in kleinen Kreisen. Die Gesellschaft steht an einem Wendepunkt: Entweder bleibt sie in einem Zustand der lähmenden Vereinzelung und Handlungsunfähigkeit oder es gelingt erneut, eine Friedensstiftung zu erreichen und den Zyklus von vorne zu beginnen. In dieser Phase entscheidet sich, wie schnell eine neue gesellschaftliche Ordnung etabliert werden kann.

Diese idealtypischen Phasen des Modells helfen, die Dynamik gesellschaftlicher Reaktionen auf Katastrophen zu verstehen. Doch bleibt es am Ende der Katastrophe überlassen, der Anlass zu sein, damit wir uns über uns selbst aufklären?

Es gibt keinen Verlust der Selbstverständlichkeit aller Selbstverständlichkeiten. Eine Reflexion, in der wir uns unserer Selbstverständlichkeiten gewahr werden und sie korrigieren, gibt es nur, weil es basale Selbstverständlichkeiten gibt, auf die wir zurückgeworfen werden und von wo aus wir wieder neu aufbauen.